Topologisches Quanten-Bauelement realisiert

Halbleiter-Bauelemente sind kleinste Schalteinheiten und sorgen in moderner Elektronik dafür, dass Elektronen transportiert und gesteuert werden können. Das bringt unsere Alltagstechnologien zum Laufen – Handys und Laptops genauso wie moderne Medizintechnik oder Auto-Sensoren. Materialverunreinigungen oder Temperaturschwankungen können den Stromfluss in den sensiblen Bauteilen jedoch stören. Dann leidet die Funktionalität der elektronischen Geräte.
Jetzt ist es theoretisch und experimentell arbeitenden Physikerinnen und Physikern des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter gelungen, ein Halbleiter-Bauteil aus Aluminium-Gallium-Arsenid (AlGaAs) zu entwickeln, in dem ein topologisches Quantenphänomen den störanfälligen Elektronenfluss schützt. Die Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal Nature Physics veröffentlicht.
„Dank des topologischen Skin-Effekts können die Ströme zwischen den verschiedenen Kontakten auf dem Quanten-Halbleiter weder durch Verunreinigungen noch durch andere äußere Einflüsse gestört werden. Das macht topologische Bauelemente für die Halbleiterindustrie zunehmend interessant. Denn bei ihrer Herstellung kann man auf die extrem hohen Reinheitsgrade vom Material verzichten, die unsere heutige Elektronik so teuer machen“, erläutert Professor Jeroen van den Brink, Direktor am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) und Gründungsmitglied von ct.qmat.
Topologische Quantenmaterialien gelten als äußerst robust und sind dadurch besonders geeignet für extrem leistungshungrige Technologien. „Unser Quanten-Halbleiter ist stabil und hochpräzise zugleich – diese Kombination ist ungewöhnlich. Das macht unser topologisches Bauteil gerade für die Sensortechnik spannend.“
Extrem robust und ultrapräzise
Durch die Nutzung des topologischen Skin-Effekts werden neuartige, leistungsstarke elektronische Quanten-Bauteile möglich, die noch dazu sehr klein werden können: „Der Durchmesser unseres topologischen Quanten-Bauteils beträgt ungefähr 0,1 Millimeter und kann für zukünftige Elektronik-Anwendungen leicht weiter verkleinert werden“, so van den Brink.
Der Forschungserfolg des Dresden-Würzburger Physik-Teams besteht darin, dass sie den topologischen Skin-Effekt als erste auf mikroskopischer Ebene in einem Halbleiter-Material verwirklichen konnten. Auf makroskopischer Ebene konnte dieses Quantenphänomen vor drei Jahren erstmals experimentell nachgewiesen werden – allerdings nur in einem künstlichen Metamaterial und nicht in einem natureigenen Werkstoff. Erst der aktuelle Forschungsbeitrag führte zu einem winzigen topologischen Quanten-Bauteil auf Halbleiterbasis, das außerordentliche Widerstandsfähigkeit und ultrahohe Sensibilität verbindet.
„In unserem Quanten-Bauteil ist die Beziehung zwischen Strom und Spannung durch den topologischen Skin-Effekt geschützt, weil sich die Elektronen alle am Rand aufhalten. Selbst bei Verunreinigungen im Halbleiter-Material bleibt der Stromfluss stabil. Gleichzeitig können schon geringste Schwankungen von Strom oder Spannung von den Kontakten gemessen werden“, erklärt van den Brink. Das topologische Quanten-Bauteil ist vor allem für den Bau von hochpräzisen Sensoren oder Verstärkern mit sehr kleinem Durchmesser geeignet.
Geschicktes Versuchsdesign
Ausschlaggebend für den Forschungserfolg war die Idee, den topologischen Effekt durch eine geschickte Anordnung von Materialien und Kontakten auf einem AlGaAs-Halbleiter-Bauteil unter ultrakalten Temperaturen sowie einem starken Magnetfeld zu provozieren.
„Wir haben den topologischen Skin-Effekt aus dem Bauteil regelrecht herausgekitzelt“, sagt van den Brink. Dafür hat das Physik-Team eine zweidimensionale Halbleiterstruktur genutzt. Die Kontakte wurden so angeordnet, dass der elektrische Widerstand an den Rändern der Kontakte gemessen und der topologische Effekt dort direkt nachgewiesen werden konnte.
Standortübergreifend Neues entdecken
Seit 2019 erforscht das Exzellenzcluster ct.qmat in Würzburg und Dresden topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Laborbedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren.
Die aktuellen Ergebnisse wurden ebenfalls von Forschenden erarbeitet, die an beiden Cluster-Standorten zu Hause sind. An dem neuen Quanten-Bauteil, das am IFW konzipiert wurde, waren sowohl theoretisch arbeitende Physikerinnen und Physiker der Universität Würzburg als auch theoretisch und experimentell Forschende aus Dresden beteiligt. Nach der Herstellung in Frankreich wurde das Bauteil in Dresden getestet. Jeroen van den Brink und sein Team arbeiten weiter am Verständnis dieses Phänomens, um es für künftige Technologien nutzbar zu machen.

Exzellenzcluster ct.qmat
Das Exzellenzcluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter (Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien) wird seit 2019 gemeinsam von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg und der Technischen Universität (TU) Dresden getragen. Mehr als 300 Wissenschaftler:innen aus mehr als 30 Ländern und von vier Kontinenten erforschen topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren. Das Exzellenzcluster wird im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert – als einziges bundeslandübergreifendes Cluster in Deutschland.
Publikation
Ochkan, K., Chaturvedi, R., Könye, V. et al. Non-Hermitian topology in a multi-terminal quantum Hall device. Nature Physics, 18. Januar 2024, Open Access. https://doi.org/10.1038/s41567-023-02337-4
Kontakt
Prof. Jeroen van den Brink, Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden, T +49 351 4659-380, j.van.den.brink@ifw-dresden.de