Wie können KI-gestützte Werkzeuge Lehre und Lernen an Hochschulen verbessern, ohne den Campus als sozialen Lernort zu verlieren? Darüber diskutierten am TUM Campus Garching Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Hochschulpraxis am 17. November 2025. Im Zentrum standen KI-Tools und aktuelle Ansätze für digitale Lehre sowie erste Ergebnisse des bidt-Forschungsprojekts „Effektivität generativer KI-Tutoren in der Hochschullehre (AIffectiveness)“.
Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume, MdL, nahm die Veranstaltung zum Anlass, die strategische Bedeutung von KI für die Hochschullehre zu betonen. Bayerische Hochschulen sollen bei der Gestaltung dieser Entwicklung eine aktive Rolle spielen.
KI im Hörsaal?
In seinem Impuls erinnerte Wissenschaftsminister Markus Blume an frühere digitale Umbrüche – von ersten Internetzugängen an den Hochschulen bis zur Einführung von Suchmaschinen – und ordnete KI als nächste Stufe dieser Entwicklung ein. Für ihn ist klar, dass KI in der Hochschullehre eine dauerhafte Rolle spielen wird:
Bei innovativer Lehre ist KI nicht ‚Nice-to-have‘, sondern ‚Must-do‘. KI wird nie mehr verschwinden. Im Gegenteil, sie wird sich explosionsartig entwickeln. Unsere Hochschulen sind der perfekte Ort, um Neues auszuprobieren und gleichzeitig zu evaluieren. Wir müssen KI so einsetzen, dass wir unsere menschlichen Begabungen noch besser entfalten können.
Markus Blume, MdL
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Kurzimpuls des Wissenschaftsministers Markus Blume. © bidt/Klaus D. Wolf
Zugleich rückte Blume Verantwortung und Rahmenbedingungen in den Fokus. KI solle unterstützend zur Seite stehen, nicht aber menschliche Kompetenz ersetzen. Entscheidend sei, Technologien aktiv zu gestalten und klare Rahmenbedingungen zu setzen, besonders auch mit Blick auf Prüfungsformate und Studienorganisation:
Auch für Lehr- und Lernformate gilt: Die größte Gefahr bei KI ist, nicht dabei zu sein. Von AltaVista über Google zu ChatGPT – entscheidend war und ist, dass wir Technologien als Unterstützungssysteme einsetzen und aktiv Leitplanken setzen. Dazu gehört auch, dass wir die Prüfungskultur anpassen. Mit der Novelle unseres Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes werden wir sicherstellen: Ein generelles Verbot von Künstlicher Intelligenz in Prüfungsordnungen macht keinen Sinn.
Markus Blume, MdL
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KI in der Lehre: Beispiele aus der Praxis
OneTutor ist ein KI-basiertes Lehr-Lernwerkzeug, das direkt in Vorlesungen eingebunden wird. Studierende können darüber Fragen zum Vorlesungsstoff stellen, sich Inhalte erklären lassen und individuell zusammengestellte Quizzes zur Wiederholung bearbeiten. Die Idee des KI-gestützten Lernassistenten entstand im Rahmen eines Studierendenprojekts am Lehrstuhl von Professor Alexander Pretschner an der TUM, inzwischen ist daraus die Gründung eines Start-ups hervorgegangen. Mittlerweile wird OneTutor an rund 30 Hochschulen in Deutschland und Österreich eingesetzt, mit über 21.000 aktiven Nutzerinnen und Nutzern in mehr als 620 Vorlesungen.
Aus Sicht des Projektteams steht nicht im Vordergrund, Noten „auf Knopfdruck“ zu verbessern, sondern Lernen insgesamt niedrigschwelliger zu gestalten: Wer das Tool aktiv nutzt, setze sich nach seiner Beobachtung über das Semester häufiger mit dem Stoff auseinander. Erste Auswertungen deuten darauf hin, dass Studierende mit OneTutor seltener durch Prüfungen fallen. Entscheidend bleibt für das Team hinter der Anwendung jedoch die Qualität der Lehre selbst: Gute KI-Tutoren können nur so gut sein wie die Lehrveranstaltungen, auf denen sie aufbauen.
Neben OneTutor zeigten auch das Hochschul-Assistenz-System HAnS und Angebote der Virtuellen Hochschule Bayern (vhb), wie KI bereits in der Lehre ankommt. HAnS, entwickelt im Rahmen eines bayerischen Förderprojekts und vorgestellt von Professor Tobias Bocklet (Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm), verknüpft automatisch transkribierte Lehrvideos mit Kapiteln, ergänzenden Materialien sowie einer integrierten Such- und Chatfunktion. Studierende können so gezielt an relevante Stellen springen und Inhalte medienübergreifend nacharbeiten. Das Projekt wird im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „KI in der Hochschulbildung“ und des Förderschwerpunkts „Digitale Hochschulbildung“ vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert.Für die vhb erläuterte Alexander von Stetten, wie KI-Elemente schrittweise in bestehende Onlinekurse einfließen – von Assistenzfunktionen innerhalb von Lernumgebungen bis hin zu speziell geförderten Einheiten zum Aufbau von KI-Kompetenzen.
Zusammen unterstreichen diese Beispiele, dass in Bayern unterschiedliche Wege erprobt werden, um KI sinnvoll in digitale und hybride Lehr- und Lernformate einzubetten.
Begleitforschung am bidt: Wie wirksam sind KI-Tutoren?
Parallel zum praktischen Einsatz von OneTutor untersucht das bidt im Projekt „Effektivität generativer KI-Tutoren in der Hochschullehre (AIffectiveness)“, wie solche Systeme Lernverhalten und Lernerfolg beeinflussen. Dazu wurden Befragungen von Studierenden und Lehrenden mit Nutzungsdaten aus den Kursen kombiniert. Beteiligt sind zehn bayerische Hochschulen, darunter Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften sowie die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb). Im ersten Semester der Begleitforschung wurden Ergebnisse aus 55 Kursen ausgewertet.
Erste zentrale Erkenntnisse:
- Laut „bidt-Digitalbarometer 2025“ nutzen bereits 88 Prozent der Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden generative KI. KI ist damit im Bildungsalltag angekommen.
- Dozierende bewerten OneTutor mehrheitlich als sinnvolle Ergänzung der Lehre. Rund 90 Prozent stimmen der Aussage zu, das Tool ergänze bestehende Lernmethoden auf hilfreiche Weise.
- Studierende, die OneTutor nutzen, sehen es als eine der wichtigsten Lernmöglichkeiten zur Prüfungsvorbereitung und berichten, dass es ihnen hilft, schwierige Inhalte zu verstehen und im Lernrhythmus zu bleiben.
- Studierende, die OneTutor nicht nutzen, tun dies überwiegend aufgrund persönlicher Lernpräferenzen, etwa weil sie lieber mit eigenen Mitschriften arbeiten oder den Austausch mit anderen bevorzugen. Qualitätsbedenken gegenüber dem Tool spielen eine deutlich geringere Rolle.
Die ersten Analysen zeigen damit ein differenziertes Bild: Generative KI ist in der Hochschullehre bereits präsent. Ob sie genutzt wird, hängt stark vom individuellen Lernstil ab. Für die Gestaltung von KI-gestützten Angeboten bedeutet das: Es braucht flexible Szenarien, die unterschiedliche Studierendengruppen erreichen.
KI hat das Potenzial, Lehren und Lernen durch ständige Rückkopplungen zwischen Dozenten, Studierenden und den neuen Werkzeugen individuell und personalisiert zu gestalten. Wir müssen jetzt verstehen, welche Faktoren zu einem messbar besseren Lernerfolg führen – denn wenn KI-Werkzeuge das Denken externalisieren, ist gerade im Studium niemandem geholfen. Erste Erfahrungen mit dem OneTutor stimmen uns sehr zuversichtlich!
Prof. Dr. Alexander Pretschner
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Effektivität generativer KI-Tutoren in der Hochschullehre (AIffectiveness)
Studierendenperspektive: KI als Chance – aber nicht ohne Menschen
Drei Studierende der Informatik brachten in kurzen Statements ihre Sicht auf KI in der Lehre ein:
- KI sei für die Generation Z längst fester Bestandteil von Alltag, Studium und zukünftiger Arbeitswelt. Universitäten seien der richtige Ort, um spezialisierte KI-Tools zu erproben und kritisch zu hinterfragen.
- Zugleich dürfe man Bildungsprozesse nicht allein Unternehmen wie OpenAI überlassen. Hochschulen seien in der Verantwortung, faire und kostenlose KI-Angebote zur Verfügung zu stellen und aktiv an deren Weiterentwicklung mitzuwirken.
- Auch in einer Zukunft mit sehr leistungsfähigen KI-Systemen könnten Professorinnen und Professoren, Tutorinnen und Tutoren und besonders Kommilitoninnen und Kommilitonen nicht ersetzt werden: Motivation, Vorbilder und gemeinsame Lernprozesse blieben an Menschen gebunden.
Gerade in Fächern wie Programmierung zeige sich, wie „zweischneidig“ KI sein könne: Copy-and-paste-Lösungen ohne eigenes Nachdenken seien verführerisch, aber nicht nachhaltig. Hier setze ein gut gestalteter KI-Tutor ein und eröffne neue Möglichkeiten, Verständnisfragen gezielt zu klären, Denkwege zu reflektieren und so ein nachhaltiges Lernen zu fördern.
© bidt/Klaus D. Wolf
Paneldiskussion: Wie sieht die Hochschullehre von morgen aus?
In einer abschließenden Paneldiskussion diskutierten Staatsminister Markus Blume, Professor Tobias Bocklet (TH Nürnberg), Alexander von Stetten (vhb) und Professor Alexander Pretschner (TUM/bidt) über die zukünftige Rolle von KI in der Lehre. Dabei wurde deutlich:
- Gemeinsame KI-Grundausstattung: Blume warb für ein gemeinsames Verständnis und eine „KI-Grundausstattung“ für alle bayerischen Hochschulen. Es brauche Lösungen, die skalierbar seien und zugleich den unterschiedlichen Fachkulturen gerecht würden.
- Präsenzlehre bleibt zentral: Einig waren sich die Diskutierenden, dass KI die Präsenz nicht ersetzen werde. Blume betonte, eine Vorlesung müsse ein „Happening“ sein – ein privilegierter Raum, in dem Charisma, Austausch und gemeinsame Reflexion auch in Zeiten von KI zusammenkommen.
- Rolle der Lehrenden wandelt sich: Von Stetten und Bocklet hoben hervor, dass sich die Rolle von Dozierenden weiter in Richtung Begleitung und Moderation verschiebe. KI könne Wissensvermittlung unterstützen, doch das Einüben, Anwenden und gemeinsame Diskutieren bleibe an kleineren Präsenzformaten orientiert.
- „Campusflucht“ als Herausforderung – und als Ansporn: Pretschner wies darauf hin, dass eine Tendenz zur „Campusflucht“ schon heute bestehe und nicht allein durch KI ausgelöst werde. Blume sah darin auch einen Anreiz, Lehre gezielt weiterzuentwickeln und sich so klar von rein digitalen Standardangeboten abzuheben.
Einig waren sich die Diskutanten in der Perspektive auf KI in Hochschulen:
KI-gestützte Werkzeuge wie OneTutor haben das Potenzial, Lernen individueller und zugänglicher zu machen. Ob sie diesen Mehrwert entfalten, hängt jedoch entscheidend davon ab, wie sie gestaltet, wo sie eingesetzt und unter welchen Bedingungen sie mit Präsenzlehre, menschlicher Begleitung und institutionellen Strategien zusammengedacht werden.
Das bidt begleitet diesen Prozess mit dem Forschungsprojekt „Effektivität generativer KI-Tutoren in der Hochschullehre (AIffectiveness)“ und liefert damit Grundlagen für evidenzbasierte Entscheidungen in Hochschulen und Politik.
TUM Hörsaal, Garching. © bidt/Klaus D. Wolf
Begrüßung durch Dr.-Ing. Alexander Braun, TUM. © bidt/Klaus D. Wolf
© bidt/Klaus D. Wolf
Kurzpitch OneTutor. © bidt/Klaus D. Wolf
Paneldiskussion (v.l.n.r.) Prof. Alexander Pretschner, TUM/ bidt; Staatsminister Markus Blume, MdL; Prof. Dr. Tobias Bocklet, TH Nürnberg; Alexander von Stetten, vhb. © bidt/Klaus D. Wolf
Weiterführende Links
Zum Forschungsprojekt
Effektivität generativer KI-Tutoren in der Hochschullehre (AIffectiveness)
Interview
„Wir wollen verstehen, wo KI-Tutoren sinnvoll eingesetzt werden können“
Der Beitrag Mit KI-Tools in die Zukunft der Hochschullehre erschien zuerst auf bidt DE.
