Vortrag am ITM zum chinesischen Sozialkreditsystem von Prof. Zhou Lin

Am 8. April 2019 präsentierte Prof. Zhou Lin, leitender Direktor des Intellectual Property Centers der Chinese Academy of Social Sciences, in den Räumen des ITM in Münster unter dem Titel „On the way to Credit“ Hintergründe und tiefergreifende Zusammenhänge zum chinesischen Sozialkreditsystem.
Zuletzt war diese Thematik Gegenstand umfassender Presseberichterstattung geworden, nun konnten am ITM einige der Mythen von chinesischen Scoringsystemen aufgeklärt werden. Nach einer kurzen und herzlichen Begrüßung durch Prof. Dr. Hoeren referierte Prof. Lin zunächst über die Hintergründe und den aktuellen status quo der Sozialkreditsysteme in China, später über deren konkrete aktuelle Praxis. Zuletzt schloss er mit einem Einblick in das chinesische Datenschutzrecht und gab ein kurzes Fazit.
Die Idee Menschen und Konzerne, nach Kriterien wie Vertrauenswürdigkeit, Zahlkraft etc. zu bewerten, sei keine neue und entstamme dem Jahr 2002. China hatte damals mit sog. triangular debts zu kämpfen, die das System lähmten. Zahlungsausfälle von Unternehmen und unbezahlte Arbeitslöhne schufen die Motivation um verbindliche Scoringsysteme einzuführen. Unter wechselnder behördlicher Aufsicht wurden daher Regelungen eingeführt um den Umgang mit Daten zu regulieren und folgend Sozialkreditsysteme zu entwickeln. Von der „Government Information Disclosure Bill“ über die „Regulations on the administration of credit reporting industry“ aus dem Jahre 2013 bis hin zum Network Security Law von 2016 oder dem E-Commerce Law aus 2019 wurden dahingehend vielfältige Veränderungen im Datenschutz und der Datensicherheit adoptiert.
Im zweiten Teil des Vortrags wurden die beiden Unternehmen Ant-Mark und Baidu vorgestellt und in ihre Praxis von Sozialkreditsystemen eingeführt. Ant-Mark sei vergleichbar mit eBay und bewerte die Nutzer unter anderem anhand ihres Nutzungsverhaltens, etwa anhand der Dinge, die sie kaufen und wie pünktlich sie zahlen. Für jede Person wird dann ein individueller Score bestimmt, der angibt wie wahrscheinlich ein zukünftiges gutes Verhalten des Bewerteten ist. Ist dieser Score hoch genug, folgen daraus viele Annehmlichkeiten; die Bewerbung für Visa fürs Ausland wird erheblich erleichtert, Check-Ins oder Check-Outs bei Hotels erfolgen formloser, selbst Bankdarlehen lassen sich mit einem guten Score leichter bekommen. Der Score gibt an, als wie vertrauenswürdig eine Person anhand der über sie ermittelten Daten eingestuft wird. Baidu hingegen ließe sich mit Google vergleichen und sei zuständig für die Verifizierung und Prüfung von Unternehmen. Je nachdem wie umfangreich ein Unternehmen sich von Baidu prüfen lässt, erhält das Unternehmen ein besseres Zertifikat. Diese reichen von Orange (niedrigste Verifikationsstufe) bis blau (höchste Verifikationsstufe). Gibt es Probleme mit der Lieferung oder der Qualität bestellter Waren, können die Käufer sich direkt an Baidu wenden: Der Käufer erhält sein Geld zurück ohne mit dem konkreten Unternehmen erneut in Kontakt treten zu müssen.
Abschließend berichtete Prof. Lin von den chinesischen Datenschutzregelwerken. In China gäbe es national verbindliche Regeln, wie Daten erhoben werden dürfen, wie sie gespeichert und gesichert werden müssen, unter welchen Voraussetzungen sie gelöscht werden müssen und wie sie verwendet werden dürfen im Generellen. Es handelt sich dabei um detaillierte Regelungen für die Unternehmen, die durch unternehmensinterne Regelwerke ergänzt werden.
Im Anschluss an den Vortrag spiegelte sich das hohe Interesse der Teilnehmer in den vielen Fragen wieder, die an den Vortrag anknüpfend aus dem Publikum an Prof. Lin gerichtet wurden. Unter anderem kam anekdotenhaft zur Sprache, dass schon das Überfahren eines Zebrastreifens mit einem schlechteren Score bei den Sozialkreditsystemen geahndet würde. Diese wiederum würden wiederum bereits selbst von ausländischen Botschaften genutzt, um den Visa-Verkehr zu vereinfachen.
Nach Einschätzung von Prof. Lin wurden die Formen der chinesischen Sozialkreditsysteme bisher insgesamt sehr wohlwollend aufgenommen und insbesondere als sehr effektiv wahrgenommen.