Mit Booster und Gestaltungswillen – wie die Politik generative KI gestalten kann

Mit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 hat ein globaler KI-Boom eingesetzt, in kürzester Zeit haben neue Tools zur Generierung von Texten, Sprache, Bildern und Videos Einzug gehalten. In der Wirtschaft, der Wissenschaft und bei Bürgerinnen und Bürgern ist das Thema generative KI kaum noch wegzudenken. Laut einer repräsentativen Umfrage der DIHK hatten zwei Drittel der Unternehmen 2023 bereits KI im Einsatz, fast doppelt so viele wie 2022 (DIHK 2024). Gerade generative KI gehört laut einer Umfrage der Boston Consulting Group (BCG 2024) zu den top drei Themen, die CEOs umtreiben. In einer repräsentativen bidt-Studie (bidt 2023) sehen 37 Prozent der Internetnutzenden generative KI als eine Technologie, die das Leben in Zukunft erleichtern wird.

Forschungsschwerpunkt

Mensch und generative künstliche Intelligenz: Trust in Co-Creation


In der deutschen Politik scheint das Thema dagegen erst langsam anzukommen. Lange wurde in der Bundesregierung über Regulierung und den EU AI Act gesprochen, während wenig darüber zu hören war, wie sie zu der Technologie steht – oder welche Rolle Deutschland in der globalen KI-Industrie und Forschung künftig überhaupt spielen soll.

Diesen großen Diskonnekt zwischen der durchaus sehr differenzierten Auseinandersetzung in Wissenschaft und Wirtschaft mit Chancen und Risiken von generativer KI und der eigenen bisherigen Rolle als stiller Zuschauer muss die Bundesregierung dringend auflösen, wenn sie in Europa und global noch eine gestaltende Rolle übernehmen will. So rasant wie die generative KI sich entwickelt, wird die Politik den eigenen Wissens- und Erfahrungsrückstand schon jetzt nur noch aufholen, wenn Wirtschaft und Wissenschaft dabei helfen und ihr einen Booster verpassen.

In drei Punkten hätte solche Unterstützung den größten Effekt für alle Seiten:

1. Die Verwaltung muss selbst Gen-AI-Profi werden

Nur wer im Alltag mit generativer KI umgeht, kann sie wirklich verstehen und sinnvoll regulieren oder fördern. Erste Ansätze und positive Stimmen in der Bundesregierung dazu gibt es, aber im Vergleich mit anderen Ländern ist die Bundesverwaltung weit hinterher, was Use Cases anbelangt, die die eigene Arbeit per ChatGPT und Co. erleichtern. Dabei gäbe es viele leicht umsetzbare Anwendungsfälle, wie beispielsweise das automatisierte Zusammenfassen von Dokumenten. Die besten Brückenköpfe in der Verwaltung für solche Tests sind die Datenlabore in allen Bundesministerien. Beim großflächigen Ausprobieren kann die Bundesregierung stark von den Erfahrungen aus den Unternehmen profitieren. Diese wiederum profitieren von lebensnaher Regulierung, die auf eigenem praktischen Wissen basiert.

2. Risikomanagement entlang der AI-Act-Vorgaben schnell praktikabel machen

Stichwort lebensnahe Regulierung: Dass generative KI Risiken mit sich bringt, ist allen bewusst, die mit der Technologie umgehen. Da sind die bereits viel diskutierten ethischen sowie die Compliance-Fragen, die sich mit der Verabschiedung des EU AI Acts und vieler Gesetze in anderen Ländern rund um die Welt stellen. Zusätzlich zeigen sich immer mehr die Cybersicherheitsrisiken der Large-Language-Modelle und auch ihre Qualitätsdefizite, wie Halluzinationen. Nach dem AI-Act-Beschluss werden dessen Bestimmungen zum Risikomanagement zwar nun in ISO-Normen umgewandelt, dies kann jedoch Jahre dauern. Dabei könnten schon einfache Handreichungen viel Innovationskraft entfalten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) etwa könnte sich mit der Wissenschaft und den Banken zusammensetzen, um sehr spezifische Fragen zur Governance von High Risk Use Cases im Bankenwesen gemeinsam in Co-Creation zu klären. Solche Fragen werden nämlich auch im ISO-Prozess eher ungeklärt bleiben und sorgen gerade für Innovationsstau im Finanzsektor.

3. Klar sichtbare Ansprechpersonen benennen und mit „Convening Power“ die nationalen Stärken bündeln

Joe Biden hat Kamala Harris und je einen sichtbaren und oft auch prominenten KI-Beauftragten in fast jedem Ministerium; Emmanuel Macron hat den ehemaligen Harvard-Professor Philippe Aghion und den Mathematiker Cédric Villani – aber die Bundesregierung hat bisher kein eindeutiges oder prominentes Gesicht für KI, die oder der das Thema national und international treibt und Ansprechpartnerin oder -partner ist. Es muss ja nicht gleich eine KI-Beauftragte oder Beauftragter sein, aber es braucht „Convening Power“ und politische Aufmerksamkeit, damit das Wissen und die Erfahrungen aus Unternehmen und Universitäten aus den Silos herauskommen und stärker gebündelt werden, Risiken gemeinsam erkannt und gebannt werden können. Falls parteipolitisch keine Lösung gefunden wird, könnte die Bundesregierung auch den Weg von Frankreich gehen und eine Person aus der Wissenschaft oder eine/n CEO benennen. Das Zeitfenster, die Zukunft mit generativer KI politisch global mitzugestalten, schließt sich allmählich. Andere Länder und Wirtschaftsräume werden Woche um Woche aktiver. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung ihre Chance nicht verpasst.

Dieser Beitrag ist im bidt Magazin erschienen.


Autorin

Kirsten Rulf
Partnerin bei der Boston Consulting Group | Mitglied im Advisory Board des bidt


Zum Profil

Literatur

BCG AI Radar (2024). From Potential to Profit with GenAI. https://www.bcg.com/publications/2024/from-potential-to-profit-with-genai [17.05.2024].

Schlude et al. (2023). bidt Analysen und Studien. Verbeitung und Akzeptanz generativer KI in Deutschland und an deutschen Arbeitsplätzen. https://www.bidt.digital/publikation/verbreitung-und-akzeptanz-generativer-ki-in-deutschland-und-an-deutschen-arbeitsplaetzen/ [17.05.2024].

DIHK (2024). Digitalisierungsumfrage 2023. Digitalisierung eher Werkzeug als Innovationsmotor. https://www.dihk.de/de/the-men-und-positionen/wirtschaft-digital/digitalisierung/digitali-sierungsumfrage-23 [17.05.2024].

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