Einblicke in die Welt der Phagen und Bakterien

Zusammenfassung Phagen sind Viren, die Bakterien befallen. Im Kampf gegen antibiotikaresistente Krankheitserreger könnte ein therapeutischer Einsatz von Phagen äußerst nützlich sein. Doch sind die molekularen Interaktionen zwischen Phagen und Wirtsbakterien bislang nicht hinreichend verstanden. Der Arbeitsgruppe von Jörg Vogel am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und am Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) in Würzburg ist es nun mit einem molekularen Werkzeug (Antisense-Oligomeren, ASOs) gelungen, gezielt in die Vermehrung von Phagen einzugreifen. Die innovative RNA-Technologie eröffnet neue Einblicke in die molekulare Welt der Phagen und treibt die Entwicklung einer künftigen therapeutischen Anwendung weiter voran. Die Studie ist im Fachmagazin Nature veröffentlicht.
Phagen schützen die Gesundheit des Menschen
Auch Bakterien haben mit Viren zu kämpfen – mit sogenannten Bakteriophagen, kurz Phagen genannt. Sie dringen in Bakterien ein, machen sich deren zelluläre Maschinerie zu eigen, vermehren sich und bringen dann die Bakterienzelle zum Bersten. So werden neue Phagen freigesetzt, die wiederum weitere Bakterien infizieren können.
Für den Menschen sind Phagen ungefährlich – sie haben es nur auf Bakterien abgesehen. Und dabei sind sie auch noch ziemlich wählerisch: Jeder Phage ist auf ganz bestimmte Bakterien spezialisiert, manche davon sind Krankheitserreger.
„Indem Phagen Krankheitserreger befallen und dezimieren, schützen sie ganz nebenbei unsere Gesundheit – quasi in einer Art verdeckter Operation. Ihr Potenzial therapeutisch nutzbar zu machen, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen, wäre ein Gamechanger“, sagt der Leiter der Studie, Jörg Vogel. Er ist Geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Vogel leitet außerdem das Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) an der Medizinischen Fakultät der JMU.
Molekulares Werkzeug eingeschleust – Phagen gehacked
„Um Phagen therapeutisch zu nutzen, müssen wir allerdings noch viel besser verstehen, wie das molekulare Wechselspiel zwischen Phagen und Wirtsbakterien genau funktioniert“, sagt Erstautor Milan Gerovac, ehemals Postdoc im Labor von Jörg Vogel und inzwischen Leiter der Nachwuchsgruppe „Komplexe in phageninfizierten Zellen“ am HZI. „Bislang ist dazu noch nicht viel bekannt. Das liegt unter anderem daran, dass Phagen ihr Erbgut mit einer Art Schutzschild vor dem Phagenabwehrsystem der Bakterienzelle schützen. Und das wirkt leider auch ziemlich gut gegen gängige molekulare Untersuchungsmethoden.“
Um die molekulare Phage-Wirt-Beziehung zu entschlüsseln, muss man sich also etwas Besonderes einfallen lassen – und genau das haben die HIRI-Forschenden in ihrer aktuellen Studie getan: Mit einem innovativen RNA-basierten molekularen Werkzeug, sogenannten Antisense-Oligomeren (ASOs), gelang es ihnen, gezielt in den Vermehrungszyklus von Phagen einzugreifen.
„Die in die Bakterienzelle eingeschleusten ASOs haben die Phagen-Proteinsynthese an zentralen Stellen ausgeschaltet“, erklärt Gerovac. „Wir konnten uns mit den ASOs gewissermaßen in die Phagen-Entwicklung ‚einhacken‘.“
Antibakterielle ASOs werden auch als programmierbare Antibiotika oder Asobiotika bezeichnet. Sie sind schon länger bekannt und werden im Labor von Jörg Vogel intensiv erforscht. „Da ASOs bekanntermaßen die Proteinsynthese von Bakterien hemmen können, vermuteten wir, dass sie dies auch bei Phagen können. Denn Phagen vermehren sich mithilfe der zellulären Maschinerie der Wirtsbakterien“, sagt Vogel. „Und damit lagen wir goldrichtig!“
Im Fokus: Ein Jumbo-Phage, der Krankenhauskeime killt
Mit der ASO-Technologie konnten die Forschenden die Phagenentwicklung in verschiedenen Phagen-Bakterien-Paaren erfolgreich unterbinden und zeigen, dass sich der Ansatz für eine breite Anwendung eignet.
Im Fokus ihrer Untersuchungen stand jedoch ein sogenannter Jumbo-Phage namens ΦKZ. Mit ihm könnte man perspektivisch gefährliche Infektionen von Wunden, Atemwegen und Lunge mit dem Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa behandeln.
„Jumbo-Phagen besitzen ein ausgesprochen großes Erbgut“, erklärt Gerovac. „Mithilfe der ASOs konnten wir die Synthese unterschiedlichster Phagenproteine systematisch ausschalten und mit diesem sogenannten Knock-Down-Screening-Ansatz bisher noch unbekannte, für die Phagenentwicklung zentrale Proteine identifizieren.“
Die Wissenschaftler hoffen, dass die ASO-Technologie in der Phagenforschung breite Anwendung finden wird, um die grundlegenden molekularen Mechanismen von Phagen besser zu verstehen und die Entwicklung neuer Therapieansätze im Kampf gegen bakterielle Krankheitserreger voranzutreiben.

Förderung
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Schwerpunktprogramm „Neue Konzepte der Virus-Wirt Interaktion in Prokaryoten – von Einzelzellen zu mikrobiellen Gemeinschaften“ sowie durch einen Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis (beide an Jörg Vogel) gefördert. Jörg Vogel ist Mitglied des neuen Würzburg-Münchener DFG-Exzellenzclusters NUCLEATE und des BMBF-Clusters CNAT-M.

Publikation
Gerovac M, Buhlmann L, Zhu Y, Ðurica-Mitić S, Rech V, Carien S, Gräfenhan T, Popella L, Vogel J: Programmable antisense oligomers for phage functional genomics. Nature (2025), DOI: 10.1038/s41586-025-09499-6

Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) ist die weltweit erste Einrichtung ihrer Art, die die Forschung an Ribonukleinsäuren (RNA) mit der Infektionsbiologie vereint. Auf Basis neuer Erkenntnisse aus seinem starken Grundlagenforschungsprogramm will das Institut innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um menschliche Infektionen besser diagnostizieren und behandeln zu können. Das HIRI ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und befindet sich auf dem Würzburger Medizin-Campus. Weitere Informationen unter www.helmholtz-hiri.de